Verbraucherschutz hat Vorrang: Wer eine Versicherung abschließt, hat ein gesetzliches Recht auf eine Beratung. Verzichtet ein Kunde darauf, muss dies eine bewusste und gesonderte Entscheidung sein. Eine im Kleingedruckten oder in einem Werbebrief pauschal eingefügte Verzichtserklärung ist unwirksam. Dies hat das Landgericht (LG) München I in einem viel beachteten Urteil gegen die ADAC Versicherung AG entschieden und damit die Rechte von Versicherungskunden maßgeblich gestärkt (Urteil vom 25.04.2025, Az. 3 HK O 9060/24).
Worum ging es in dem Fall?
Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg hatte gegen eine Praxis der ADAC Versicherung AG geklagt. Der Versicherer hatte im April 2024 Werbeschreiben für das Produkt "ADAC Unfallschutz Exklusiv" versendet. Der Abschluss sollte für die Kunden besonders unkompliziert sein: Durch die einfache Überweisung des ersten Beitrags mit einem beigefügten, bereits ausgefüllten Überweisungsträger sollte der Versicherungsvertrag zustande kommen.
Der entscheidende Haken fand sich auf der zweiten Seite des Schreibens. Dort war in einem grafisch hervorgehobenen Kasten folgender Hinweis platziert: "Im Rahmen dieses Abschlusses verzichte ich auf eine persönliche oder telefonische Beratung."
Zwar wurde auch darauf hingewiesen, dass ein solcher Verzicht negative Auswirkungen auf etwaige Schadensersatzansprüche haben könnte, doch eine separate Unterschrift oder eine aktive Bestätigung für diesen Verzicht war nicht vorgesehen. Die Verbraucherzentrale sah darin einen Verstoß gegen die gesetzliche Beratungspflicht und zog nach einer erfolglosen Abmahnung vor Gericht.
Die Entscheidung des LG München I
Das Gericht gab der Verbraucherzentrale Recht und erklärte die Vorgehensweise des ADAC für unzulässig. Die Richter stützten ihre Argumentation maßgeblich auf § 6 Abs. 3 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG).
Nach Ansicht des Gerichts muss ein Verzicht auf die Beratung "gesondert" erklärt werden. Das bedeutet:
- Klare Trennung: Die Verzichtserklärung muss sich deutlich vom übrigen Vertragstext abheben. Ein bloßer Hinweis in einem Infokasten innerhalb des Fließtextes genügt diesem Erfordernis nicht.
- Bewusste Handlung: Der Verzicht erfordert eine aktive Handlung des Verbrauchers. Das Gericht nannte als Beispiele eine separat zu leistende Unterschrift oder eine gesonderte Erklärung in Textform, die sich gestalterisch klar vom restlichen Antrag unterscheidet.
Das LG München I stellte klar, dass "gesondert" nicht zwingend ein separates Dokument bedeutet. Die Erklärung kann im selben Dokument enthalten sein, solange sie und die dazugehörige Bestätigung (z. B. durch Unterschrift) vom restlichen Text eindeutig abgehoben sind. Dies war im Werbeschreiben des ADAC nicht der Fall.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es ist jedoch ein starkes Signal für den Verbraucherschutz im Versicherungssektor.
Was bedeutet dieses Urteil für Sie als Verbraucher?
Die gesetzlich verankerte Beratungspflicht ist ein zentrales Schutzinstrument für Versicherungskunden. Sie soll sicherstellen, dass Sie einen Versicherungsschutz erhalten, der tatsächlich zu Ihren Bedürfnissen, Wünschen und Ihrer finanziellen Situation passt. Sie schützt davor, versehentlich unpassende oder lückenhafte Verträge abzuschließen.
Dieses Urteil bestätigt: Sie können nicht nebenbei oder unbewusst auf dieses wichtige Recht verzichten. Versicherer dürfen den Beratungsverzicht nicht in ihren Antragsformularen "verstecken", um den Vertragsabschluss zu beschleunigen.
Unsere Empfehlung: Seien Sie wachsam!
- Prüfen Sie Vertragsangebote genau: Lassen Sie sich nicht von unkomplizierten und schnellen Abschlussmöglichkeiten unter Druck setzen. Achten Sie gezielt darauf, ob und wie ein Beratungsverzicht formuliert ist.
- Fordern Sie Ihr Recht ein: Bestehen Sie im Zweifel immer auf einer persönlichen oder telefonischen Beratung, um sicherzugehen, dass das angebotene Produkt für Sie geeignet ist.
- Bestehende Verträge prüfen: Sind Sie unsicher, ob Sie in der Vergangenheit möglicherweise unwissentlich auf eine Beratung verzichtet haben und ob Ihr Vertrag alle für Sie wichtigen Risiken abdeckt? Ein unwirksamer Beratungsverzicht könnte Ihnen unter Umständen Ansprüche sichern.
Haben Sie einen ähnlichen Versicherungsvertrag abgeschlossen oder sind Sie unsicher bezüglich der Wirksamkeit Ihrer Vertragserklärungen? Unsere Experten für Versicherungsrecht prüfen Ihre Unterlagen gerne und beraten Sie umfassend zu Ihren Rechten. Kontaktieren Sie uns für eine Erstberatung.