Auseinandersetzungen im Rahmen des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) betreffen häufig Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit. Streitigkeiten über die Wirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des beklagten Verwenders sowie die Klageerhebung durch einen qualifizierten Verbraucherverband schließen jedoch häufig den Zugang zur Revisionsinstanz aus, es sei denn, das Oberlandesgericht (OLG) gestattet die Revision. Die Nichtzulassungsbeschwerde der unterlegenen Partei scheitert in der Regel am erforderlichen Mindestwert der Beschwer, was auf die höchstrichterlich festgelegte Praxis zurückzuführen ist, in diesen Verfahren einen Regelstreitwert von 2.500 EUR pro angegriffener Klausel anzusetzen. Diese Praxis bedarf einer Überprüfung.
I. Einführung
In Zivilverfahren wird die Revision nur zugelassen, wenn sie vom Berufungsgericht in seinem Urteil oder vom Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung genehmigt wurde (§ 543 I ZPO). Der Anteil der durch die Berufungsgerichte zugelassenen Revisionen ist gering: Im Jahr 2021 wurden von 14.862 durch streitiges Urteil entschiedenen Berufungssachen vor den Oberlandesgerichten lediglich in 1.009 Fällen die Revision zugelassen; zudem gab es 11.866 Zurückweisungsentscheidungen gemäß § 522 II ZPO, gegen die ebenfalls eine Nichtzulassungsbeschwerde möglich ist. Dies führt zu einer Zulassungsquote von nur 3,77 %. Die zweitinstanzlich unterlegene Partei ist somit häufig auf die Nichtzulassungsbeschwerde angewiesen, um eine Überprüfung durch das Revisionsgericht zu erreichen.
Der Rechtsmittelkläger muss jedoch die Hürde des § 544 II Nr. 1 ZPO überwinden: Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert der Beschwer, die mit der Revision geltend gemacht wird, 20.000 EUR übersteigt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH bemisst sich dieser Wert grundsätzlich nach dem Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts. In Verfahren nach dem UKlaG soll jedoch eine Ausnahme gelten, wenn der Kläger ein qualifizierter Verbraucherverband gemäß § 3 I 1 Nr. 1 UKlaG ist: In diesem Fall orientieren sich Gebührenstreitwert und Beschwer regelmäßig am Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung einer gesetzwidrigen AGB-Bestimmung, während die wirtschaftliche Bedeutung der Klausel für den beklagten Verwender keine entscheidende Rolle spielen soll. Dies dient dem Schutz der Verbraucherschutzverbände vor unangemessenen Kostenrisiken. Senatsübergreifend wird ein Streitwert und Wert der Beschwer der unterlegenen Partei von 2.500 EUR pro angegriffener Klausel angesetzt.
Die Gleichsetzung von Streitwert und Wert der Beschwer führt dazu, dass die Nichtzulassungsbeschwerde der unterlegenen Partei in der Regel gemäß § 544 II Nr. 1 ZPO unzulässig ist, es sei denn, der Unterlassungskläger greift ausnahmsweise so viele Klauseln an, dass die Mindestbeschwer erreicht wird (bei vollständigem Unterliegen einer Partei müssten also mindestens neun Klauseln angegriffen werden – eine eher seltene Situation). Gemäß § 6 II UKlaG findet gegen das Urteil des erstinstanzlich zuständigen OLG die Revision wie gegen Berufungsurteile der Oberlandesgerichte statt. Diese Vorschrift verweist uneingeschränkt auf die §§ 542 ff. ZPO, insbesondere auf §§ 543, 544 ZPO. Somit ist die Revision auch in UKlaG-Verfahren nur unter den Voraussetzungen des § 543 I ZPO zulässig, und der Rechtsmittelführer muss in der Regel das Beschwerdeverfahren der Nichtzulassung durchführen.
II. Problemstellung und konfligierende Interessen
Das Ziel, die anspruchsberechtigten Stellen gemäß § 3 I 1 Nr. 1 UKlaG vor übermäßigen Kosten zu schützen, ist grundsätzlich lobenswert. Diese Stellen handeln auch im öffentlichen Interesse, indem sie AGB außerhalb individueller Prozesse einer wirksamen Kontrolle unterziehen. Aufgrund eigener Erfahrungen in der Prozessführung ist jedoch zu bezweifeln, dass dies zu einer nennenswerten Entlastung der anspruchsberechtigten Stellen führt. Auch auf Klägerseite fehlt oft ein qualifizierter Rechtsbeistand, der das regelmäßig aufwendige Verfahren nach dem UKlaG mit einem Streitwert von 2.500 EUR führen kann. Auf Beklagtenseite sind Honorarvereinbarungen, meist nach Zeitaufwand, üblich und aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung angemessen. Die Begrenzung des Streitwerts führt somit de facto zu einem Ausstieg aus der Kostenerstattung und damit zu einer Abkehr vom Unterliegensprinzip der §§ 91 ff. ZPO.
Die Auswirkungen der Streitwertbeschränkung und die Gleichsetzung von Streitwert und Wert der Beschwer werfen rechtliche Zweifel auf. Die faktische Verkürzung des Instanzenzugs hat nicht das Ziel, den Verbandskläger vor Kostenrisiken zu bewahren, sondern ist lediglich eine Folge der beschriebenen Praxis der Streitwertbemessung. Dies zeigt sich insbesondere in Fällen, in denen der Verbandskläger mehrere Klauseln angreift und der Streitwert durch die Bündelung der Ansprüche den Betrag von 20.000 EUR übersteigt. In solchen Fällen steht § 544 II Nr. 1 ZPO der Nichtzulassungsbeschwerde der unterlegenen Partei nicht im Wege, obwohl gerade dann eine erhebliche Kostenbelastung droht. Zudem muss der Verbandskläger stets mit der Zulassung der Revision durch das OLG rechnen.
1. Betroffenheit erheblicher wirtschaftlicher Interessen auf Verwenderseite
Insbesondere für den beklagten Verwender von AGB stehen im Falle eines Prozessverlusts oft erhebliche Summen auf dem Spiel. Beispielhaft sei auf die Entscheidungen des KG zu Preisanpassungsklauseln namhafter Streamingdienstanbieter verwiesen. Die dort festgestellte Unwirksamkeit der Klauseln lässt den Rechtsgrund für Zahlungen entfallen, die Kunden in der Vergangenheit aufgrund vermeintlich wirksamer Preiserhöhungen geleistet haben. Den Verwender in einem solchen Fall den Zugang zur Revisionsinstanz von vornherein zu verwehren, ist bedenklich. In einer lehrreichen älteren Entscheidung stellte der V. Zivilsenat zu Recht fest, dass der Rechtsmittelführer „nicht nur deshalb vom Rechtsmittel ausgeschlossen werden darf, weil das Interesse des Klägers am Rechtsstreit geringer ist als die Beschwer des Beklagten“.
2. Unterlaufen gesetzlich vorgesehener Möglichkeiten der Kostenbegrenzung
Der Gesetzgeber hat in § 5 UKlaG in Verbindung mit § 12 III UWG die Möglichkeit geschaffen, die Verpflichtung zur Zahlung von Gerichtskosten auf einen der wirtschaftlichen Lage der Partei angepassten Teil des Streitwerts zu begrenzen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass die Belastung mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würde. Diese Regelung wird durch § 48 I 2 GKG flankiert, der bestimmt, dass der Gebührenstreitwert in Rechtsstreitigkeiten aufgrund des UKlaG und des VDuG 250.000 EUR nicht übersteigen darf. Die Rechtsprechung untergräbt diesen gesetzlich vorgesehenen Weg zur Beschränkung der Kostenlast, indem sie den klagenden Verbraucherverband ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen des § 12 III UWG entlastet und den Gebührenstreitwert auf 2.500 EUR pro Klausel festsetzt. Es mag zutreffen, dass § 5 UKlaG in Verbindung mit § 12 III UWG die anspruchsberechtigten Stellen nicht in gleicher Weise entlastet wie die Streitwertlösung. Eine solche Entlastung sollte jedoch unterbleiben, da § 5 UKlaG in Verbindung mit § 12 III UWG eine abschließende Regelung zur Minderung der Kostenlast darstellt, die durch die Streitwertlösung unterminiert wird.
3. Wertungswiderspruch zu Grundgedanken der Zulassungsrevision
Es ist nicht nachvollziehbar, warum gerade die hier diskutierten Fälle, die regelmäßig überindividuelle Bedeutung haben und im öffentlichen Interesse an der Kontrolle von AGB oder der Abwehr verbraucherschutzwidriger Praktiken geführt werden, von der Nichtzulassungsbeschwerde ausgeschlossen sein sollten. Das Revisionsgericht sollte gerade in Fällen von herausgehobener allgemeiner Bedeutung tätig werden. Zwar mag nicht jedem Verfahren, in dem es um Ansprüche aus §§ 1, 2 UKlaG geht, grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 II 1 Nr. 1 ZPO zukommen, doch besteht bei diesen Verfahren zumindest ein stärkerer Anfangsverdacht zugunsten eines gesteigerten Interesses der Allgemeinheit.
4. Insbesondere: Wertungswiderspruch zum VDuG
Im Hinblick auf die Schnittmenge zwischen Musterfeststellungs- und UKlaG-Verfahren ergeben sich weitere Bedenken. Sowohl das VDuG als auch das UKlaG zielen auf die Durchsetzung von Verbraucherinteressen ab und haben mit der Verbandsklagen-Richtlinie (EU) 2020/1828 einen gemeinsamen unionsrechtlichen Hintergrund. Die Musterfeststellungsklage sollte das Instrumentarium des kollektiven Rechtsschutzes ergänzen und eine Möglichkeit zur gebündelten Verfolgung individueller Ansprüche schaffen. Die Wirksamkeit von AGB kann sowohl mit der Unterlassungsklage (§ 1 UKlaG) als auch mit der Musterfeststellungsklage überprüft werden. Neben der gemeinsamen erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte besteht auch hinsichtlich der Klagebefugnis Gleichlauf.
Das Unterlassungsurteil hat sogar eine stärkere Wirkung als das Musterfeststellungsurteil: Nach § 11 III 1 VDuG binden rechtskräftige Urteile über Verbandsklagen ein zur Entscheidung eines Rechtsstreits zwischen einem angemeldeten Verbraucher und dem verklagten Unternehmen berufenes Gericht, wenn dessen Entscheidung den Lebenssachverhalt der Verbandsklage betrifft. Eine darüber hinausgehende Bindung besteht nicht. Handelt der verurteilte Verwender jedoch einem auf § 1 UKlaG beruhenden Unterlassungsgebot zuwider, ist die Bestimmung in den AGB gemäß § 11 S. 1 UKlaG als unwirksam anzusehen, soweit sich der betroffene Vertragsteil auf die Wirkung des Unterlassungsurteils beruft. Das Unterlassungsurteil verschafft somit jedem Vertragspartner des Verwenders eine entsprechende Einrede, ohne dass die Vertragspartner sich an dem Unterlassungsrechtsstreit beteiligen müssen.
Umso bemerkenswerter ist § 42 VDuG. Laut dieser Vorschrift findet gegen Musterfeststellungsurteile die Revision statt, ohne dass es ihrer Zulassung bedarf. Der Konflikt ist offensichtlich: Während die Parteien im Musterfeststellungsverfahren nicht einmal die Hürde der Nichtzulassungsbeschwerde nehmen müssen, wird ihnen im UKlaG-Verfahren der Zugang zur Revisionsinstanz vorbehalten, obwohl beiden Verfahren Breitenwirkung zukommt und die Wirkung des Unterlassungsurteils sogar über die des Musterfeststellungsurteils hinausgeht.
III. Lösungsvorschläge de lege lata
Die übermäßige Kostenbelastung des Verbandsklägers kann vermieden werden, ohne dass der vor dem OLG unterlegenen Partei das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde vorenthalten bleibt.
1. Trennung von Gebührenstreitwert und Wert der Beschwer
Zur Lösung des Problems sollten Gebührenstreitwert und der für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde maßgebliche Wert der Beschwer im UKlaG-Verfahren voneinander getrennt werden. Der Streitwert des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde muss nicht zwangsläufig dem Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer entsprechen. Der Wunsch, das Kostenrisiko des Verbandsklägers zu verringern, mag die Annahme eines Regelstreitwerts von 2.500 EUR rechtfertigen, nicht aber die gleichzeitige Deckelung des Werts der Beschwer.
a) Auf Klägerseite
Die Beschwer des unterlegenen Klägers sollte in diesen Fällen nicht durch den Gebührenstreitwert begrenzt sein. Der Streitwert der Klage richtet sich grundsätzlich nach dem Interesse des Klägers am Erfolg seiner Klage und sollte bei der Prüfung der Beschwer nicht anders bewertet werden als bei der Höhe des Gebührenstreitwerts. Mit der Rechtsprechung zum Regelstreitwert von 2.500 EUR ist der BGH im Bereich des UKlaG jedoch vom Prinzip des Angreiferinteresses abgerückt: Maßgeblich ist nicht das öffentliche Interesse an der Bekämpfung unwirksamer AGB, sondern die Kostenprivilegierung des Verbandsklägers.
b) Auf Beklagtenseite
Es sollte auch zwischen Gebührenstreitwert und Wert der Beschwer unterschieden werden, wenn der beklagte Verwender Rechtsmittelführer ist. Der BGH argumentiert jedoch, dass eine unterschiedliche Bewertung von Beschwer und Gebührenstreitwert nicht in Betracht komme, da beide nach dem Interesse des unterlegenen Verwenders an der Weiterverwendung der entsprechenden Klausel zu bemessen seien. Dieses Argument überzeugt nicht, da der beklagte Verwender kein Interesse an der allgemeinen Weiterverwendung der angegriffenen Klausel hat.
2. Analogie zu §§ 42, 4 I Nr. 2 VDuG
Sollte man dem nicht folgen, könnte die analoge Anwendung der §§ 42, 4 I Nr. 2 VDuG in Betracht gezogen werden. Nach § 42 VDuG findet die Revision gegen Musterfeststellungsurteile statt, ohne dass eine Zulassung erforderlich ist.
a) Planwidrige Regelungslücke und Telos des § 544 II Nr. 1 ZPO
Es ist von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen. Der Gesetzgeber wollte die Revision im UKlaG-Verfahren nicht generell zulassen, war jedoch möglicherweise nicht auf die Wertungswidersprüche zwischen UKlaG- und Musterfeststellungsverfahren sensibilisiert. § 544 II Nr. 1 ZPO soll einer Überlastung des BGH vorbeugen und eine spürbare Entlastung gewährleisten, ohne die Möglichkeit zu beeinträchtigen, in Grundsatzfragen höchstrichterliche Entscheidungen herbeizuführen.
b) Vergleichbare Interessenlage
Die Interessenlage in dem von §§ 42, 4 I Nr. 2 VDuG geregelten Fall entspricht derjenigen der Unterlassungsklage nach §§ 1 ff. UKlaG, wenn von dem Rechtsschutzziel der Unterlassungsklage die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens 50 Verbrauchern abhängen können. In diesem Fall sollte die Revision analog § 42, § 4 I Nr. 2 VDuG zugelassen werden, da der Sache grundsätzliche Bedeutung zukommt.
IV. Vortragsobliegenheiten auf der Grundlage höchstrichterlicher Rechtsprechung
Wenn man an der höchstrichterlichen Rechtsprechung festhält, sind die Parteien gehalten, frühzeitig umfassend zum Wert der Sache vorzutragen, um die Chance auf eine weitere Instanz unabhängig von einer möglichen Revisionszulassung durch das OLG zu wahren.
V. Zusammenfassung
Die Rechtsprechung zur Bemessung von Gebührenstreitwert und Wert der Beschwer in UKlaG-Verfahren wirft erhebliche Bedenken auf. Sie gibt allgemein anerkannte Grundsätze auf, um den Verbandskläger zu entlasten, verkürzt jedoch ohne Not den Instanzenzug in Fällen von überindividueller Bedeutung. Der beklagte Verwender sollte umfassend zur wirtschaftlichen Bedeutung der Klausel und deren kontroverser Diskussion in der Rechtsprechung und Literatur vortragen, um den Zugang zur Nichtzulassungsbeschwerde offen zu halten.
Die Kosteninteressen des Verbandsklägers können berücksichtigt werden, ohne die höchstrichterliche Kontrolle im UKlaG weitgehend zu verhindern. Es sollte an dem allgemeinen Grundsatz festgehalten werden, dass sich der Wert der Beschwer nach dem Interesse des Rechtsmittelklägers an der Beseitigung der angefochtenen Entscheidung bemisst. Wenn dies nicht der Fall ist, könnte die analoge Anwendung der §§ 42, 4 I Nr. 2 VDuG in Betracht gezogen werden.
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