Fehlerhafte Widerrufsbelehrungen bei Lebensversicherungen und deren Nachbesserungsversuch

Zwischen 1995 und 2007 abgeschlossene Lebens- oder Rentenversicherungen weisen häufig fehlerhafte Widerspruchsbelehrungen auf. Bestand damals eine fehlerhafte Belehrung, kann das Widerspruchsrecht unter Umständen auch heute noch bestehen – ein sogenanntes "ewiges Widerspruchsrecht". Versicherer versuchen mitunter, diesen Mangel nachträglich durch eine "Nachbelehrung" zu beheben. Dieser Rechtstipp beleuchtet die Voraussetzungen und mögliche Probleme.

 

Was ist eine Nachbelehrung und ist sie zulässig?

Eine Nachbelehrung ist der Versuch eines Versicherers, eine fehlerhafte Widerspruchs- oder Rücktrittsbelehrung, die bei Vertragsabschluss erteilt wurde, Jahre später durch eine neue, korrekte Belehrung zu ersetzen. Ziel des Versicherers ist es dabei, das möglicherweise noch bestehende Lösungsrecht des Versicherungsnehmers (Widerspruch oder Rücktritt) endgültig zum Erlöschen zu bringen und eine Rückabwicklung des Vertrages zu verhindern.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 15. März 2023 (Az. IV ZR 40/21) wichtige Aspekte zur Nachbelehrung geklärt. Grundsätzlich kann eine Nachbelehrung bei Lebens- und Rentenversicherungen, die im sogenannten Policenmodell (§ 5a VVG alte Fassung) zustande kamen, zulässig sein – allerdings nur unter strengen Voraussetzungen. Beim Antragsmodell (§ 8 VVG alte Fassung) ist eine wirksame Nachbelehrung in der Regel ausgeschlossen, da das Gesetz hier eine Bestätigung der Belehrung durch Unterschrift des Versicherungsnehmers forderte, was nachträglich nicht heilbar ist. Eine Ausnahme kann bestehen, wenn der Vertragsschluss im Antragsmodell "missglückt" ist, etwa weil Angaben zur Antragsbindungsfrist fehlten; dann konnte der Vertrag nur im Policenmodell zustande kommen und eine Nachbelehrung nach § 5a VVG a.F. wäre denkbar.

 

Voraussetzungen für eine wirksame Nachbelehrung: Eine Übersicht

Damit eine Nachbelehrung überhaupt Wirkung entfalten kann, muss sie höchsten Ansprüchen genügen. Der BGH stellt klar, dass die Nachbelehrung – bis auf den Zeitpunkt ihrer Erteilung – dieselben strengen Anforderungen erfüllen muss wie die ursprüngliche Belehrung. Folgende zentrale Aspekte sind bei einer Nachbelehrung zu beachten:

  1. Klarer Bezug zum Vertrag: Die Nachbelehrung muss eindeutig erkennen lassen, auf welchen konkreten Versicherungsvertrag sie sich bezieht. Das ist besonders wichtig, wenn mehrere Verträge beim selben Versicherer bestehen.
  2. Korrekter Inhalt nach altem Recht: Die Belehrung muss inhaltlich dem entsprechen, was zum Zeitpunkt des ursprünglichen Vertragsschlusses gesetzlich vorgeschrieben war. Das betrifft unter anderem:
  • Die Form des Widerspruchs (z.B. Schriftform gemäß § 5a Abs. 2 S. 1 VVG idF v. 21.7.1994 oder Textform gemäß § 5a Abs. 2 S. 1 VVG idF v. 13.7.2001 bzw. v. 2.12.2004).
  • Die Dauer der Widerspruchsfrist (damals meist 14 oder 30 Tage, je nach gültiger Fassung des § 5a VVG a.F.).
  • Den Hinweis, dass zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genügt (dieser Hinweis war zwingend).
  1. Verständlich und Eindeutig: Die Nachbelehrung muss umfassend, inhaltlich richtig, unmissverständlich und für einen juristischen Laien klar und eindeutig formuliert sein. Sie soll nicht nur über das Recht informieren, sondern auch in die Lage versetzen, dieses Recht tatsächlich auszuüben.
  2. Keine verwirrenden oder ablenkenden Zusätze: Die Belehrung darf keine zusätzlichen Erklärungen enthalten, die vom eigentlichen Inhalt ablenken, verwirren oder das Lösungsrecht kleinreden könnten. Ein typisches Beispiel für einen problematischen Zusatz wäre eine einseitige oder gar falsche Darstellung angeblicher Nachteile oder Kosten, die mit einer Vertragsauflösung verbunden wären. Solche Zusätze können die gesamte Nachbelehrung unwirksam machen.
  3. Zugang aller notwendigen und aktuellen Unterlagen: Die Widerspruchsfrist nach § 5a VVG a.F. beginnt erst zu laufen, wenn der Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen vollständig vorliegen. Bei einer Nachbelehrung Jahre später stellt sich die Frage, ob ein bloßer Verweis auf die "damals erhaltenen Unterlagen" genügt, insbesondere wenn sich Vertragsinhalte oder Bedingungen geändert haben. Um Rechtsklarheit zu schaffen und Nachteile für den Versicherungsnehmer zu vermeiden, sollten mit der Nachbelehrung alle aktuellen und für die Ausübung des Widerspruchsrechts relevanten Unterlagen erneut zugesandt werden. Dazu gehören der aktuelle Versicherungsschein bzw. eine aktuelle Vertragsübersicht, die geltenden Versicherungsbedingungen und alle aktuellen Verbraucherinformationen (z.B. zu Prämien, garantierten Leistungen, Rückkaufswerten, bei fondsgebundenen Policen auch zu den Fonds und deren Zusammensetzung).
  4. Nachweis des Zugangs: Der Versicherer muss im Streitfall beweisen, dass die Nachbelehrung auch tatsächlich beim Versicherungsnehmer eingegangen ist. Ein einfaches Bestreiten des Zugangs "mit Nichtwissen" gemäß § 138 Abs. 4 ZPO ist dem Versicherungsnehmer hierbei nicht ohne Weiteres möglich; es bedarf dann einer nachvollziehbaren Erklärung, warum das Schreiben nicht erhalten worden sein soll.
     

Handlungsempfehlungen bei Erhalt einer Nachbelehrung

  • Ein solches Schreiben sollte ernst genommen werden. Es könnte bedeuten, dass eine Frist für den Widerspruch zu laufen beginnt.
  • Das genaue Empfangsdatum der Nachbelehrung sollte festgehalten werden.
  • Die oben genannten Punkte sollten sorgfältig geprüft werden. Ist die Belehrung korrekt, vollständig und verständlich?
  • Sind alle aktuellen Vertragsdokumente und Verbraucherinformationen beigefügt oder nachweislich im Besitz des Empfängers?
  • Hinweise auf angebliche Nachteile sollten nicht davon abhalten, bestehende Rechte wahrzunehmen.

 

Fehlerhafte Nachbelehrung – was dann?

Ist die Nachbelehrung selbst fehlerhaft – etwa weil sie missverständlich formuliert ist, Zusätze enthält, die verwirren, oder nicht alle notwendigen aktuellen Unterlagen beilagen – dann heilt sie den ursprünglichen Fehler nicht. Das bedeutet, das "ewige Widerspruchsrecht" kann weiterhin bestehen. Es ist sogar denkbar, dass ein Versicherer, der eine systematisch fehlerhafte Nachbelehrungsaktion durchgeführt hat, alle betroffenen Versicherungsnehmer über die Unwirksamkeit informieren muss (Folgenbeseitigungsanspruch).

 

Fazit und Handlungsempfehlung

Die Anforderungen an eine wirksame Nachbelehrung sind sehr hoch, und die Rechtslage ist komplex und vom Einzelfall abhängig. Erhält ein Versicherungsnehmer von seinem Lebens- oder Rentenversicherer ein Schreiben, das eine "Nachbelehrung" enthält, ist größte Vorsicht geboten. Es ist dringend ratsam, die Wirksamkeit dieser Nachbelehrung und die bestehenden Handlungsoptionen zeitnah anwaltlich prüfen zu lassen.

Die Prüfung der komplexen Voraussetzungen einer wirksamen Nachbelehrung erfordert juristischen Sachverstand. Bei versicherungsrechtlichen Fragen, insbesondere zur Wirksamkeit von Widerspruchsbelehrungen und Nachbelehrungen bei Lebens- und Rentenversicherungen, kann die Expertise eines Fachanwalts für Versicherungsrecht entscheidend sein. Rechtsanwalt Wolfgang Benedikt-Jansen, Fachanwalt für Versicherungsrecht, ist auf diesem Gebiet spezialisiert und unterstützt bei der Lösung entsprechender Probleme.