Bundesgerichtshof weist Kreditinstitute in die Schranken: Zinssenkungen in Prämiensparverträgen unwirksam - hohe Zinsnachzahlungen an Sparer

Bundesgerichtshof weist Kreditinstitute in die Schranken: Zinssenkungen in Prämiensparverträgen unwirksam - hohe Zinsnachzahlungen an Sparer

Der Bundesgerichtshof (BGH) entscheidet Tag für Tag Fälle, in denen sich die Prozessparteien nicht einigen konnten und die vorinstanzlichen Gerichte kein abschließend rechtskräftiges Urteil gesprochen haben. Manchmal sind von dieser Entscheidung im Einzelfall darüber hinaus eine Vielzahl von VerbraucherInnen betroffen, die das gleiche juristische Problem haben. Ihnen hilft eine für sie positiven Entscheidung indirekt, indem sie dann auf dieses Urteil im Sinne eines „Autoritätsspruchs“ verweisen können. Deutlich besser können VerbraucherInnen seit dem Jahre 2018 über eine sog. Musterfeststellungsklage (MFK) von einem Gerichtsurteil profitieren. Und heute ist so ein Tag, an dem der BGH in einem Musterfeststellungsverfahren die Frage, ob Banken und Sparkassen ihren Prämiensparern mit Verträgen wie „Bonusplan", „VorsorgePlus“, „S-Prämiensparen flexibel“ einseitig und unbegrenzt Zinsen kürzen darf, zugunsten vieler Sparer beantwortet hat.  Sein Urteil (Az. XI ZR 234/20): Banken und Sparkassen dürfen Zinsen in Sparverträgen nur nach klaren Kriterien anpassen. Die in diesem Verfahren angegriffene Zinsanpassungsklausel der Sparkasse ist unwirksam. Sie weise nicht das „erforderliche Mindestmaß an Kalkulierbarkeit möglicher Zinsänderungen“ auf. Das seien „Änderungen nach Gutsherrenart“.

 

Die Musterfeststellungsklage

Seit Einführung der MFK können Musterkläger (Verbraucherschutzverbände) für eine Vielzahl gleichartig geschädigter VerbraucherInnen gegen große Unternehmen klagen. Wenn diese sich unrechtmäßig verhalten, lassen sie sich so einfacher und effektiver zur Verantwortung ziehen und die Ansprüche der VerbraucherInnen sind bedeutend leichter durchsetzbar. Im vorliegenden Fall hat die Verbraucherzentrale Sachsen als Musterkläger gegen die Stadt- und Kreissparkasse Leipzig für ca. 1300 VerbraucherInnen geklagt, weil bei ihr, wie in vielen Prämiensparverträgen der 1990er und 2000er Jahre Klauseln enthalten sind, in dem sich das Kreditinstitut das Recht einräumt, den Zinssatz zu seinen Gunsten anzupassen. Die Verbraucherzentrale hielt die Regelungen zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von der Musterbeklagten vorgenommene Verzinsung für zu niedrig. Deshalb machte er vor allem die Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel, die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und eines monatlichen Zinsanpassungsintervalls sowie die Verpflichtung der Beklagten geltend, die Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode vorzunehmen.

 

Das Urteil

Der BGH hat entschieden, dass die angegriffene Zinsanpassungsklausel in Bezug auf die Ausgestaltung der Variabilität der Verzinsung der Spareinlagen unwirksam ist, weil sie das erforderliche Mindestmaß an Kalkulierbarkeit möglicher Zinsänderungen vermissen lasse. Es sei interessengerecht, einen Zinssatz für langfristige Spareinlagen als Referenz für die Verzinsung der Spareinlagen heranzuziehen. Die in den Prämiensparverträgen insoweit entstandene Regelungslücke muss nun durch eine ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden. Das hat die Vorinstanz, das Oberlandesgericht Dresden, zu tun. Darüber hinaus hat der BGH klargestellt, dass die Zinsanpassungen von der Sparkasse monatlich und unter Beibehaltung des anfänglichen relativen Abstands des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz (Verhältnismethode) vorzunehmen sind. In Betracht kommt der Referenzzinssatz in der von der Deutschen Bundesbank erhobenen Zinsstatistik, der monatlich veröffentlicht wird. Die Ansprüche der VerbraucherInnen auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen werden frühestens mit Beendigung der Sparverträge fällig.

 

 

Die Dimension des Urteils

Obwohl dieses Urteil unmittelbar „nur“ die Sparkasse Leipzig gilt, sind davon auch viele Sparkassen und Banken mit ähnlichen Sparverträgen und ihren Sparern betroffen. Denn man muss davon ausgehen, dass der BGH auch bei ihnen zum selben verbraucherfreundlichen Ergebnis kommen würde. Heute ging es um schätzungsweise 3.100 Euro pro Sparer, die ihnen aufgrund zu niedriger Zinszahlungen vorenthalten wurden. Wie hoch der Erstattungsbetrag für die Banken und Sparkassen ausfällt, ist unklar, weil die Kreditinstitute die Zahlen nicht offenlegen. Doch der Gesamtbetrag dürfte riesig sein. Trotzdem hat der BGH nicht etwa rechtsfolgenorientiert die Banken und Sparkassen verschont. Das ist ein gutes Signal und stärkt nicht zuletzt auch das Vertrauen der VerbraucherInnen in das oberste Gericht des Landes auf dem Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

 

Fazit

Selten hat der BGH gegenüber Banken und Sparkassen so kritische Worte gefunden. Der Vorwurf nach Gutsherrenart mit seinen Kunden umzugehen, ist an Deutlichkeit kaum zu überbieten. Auch wenn der BGH keinen neuen Referenzzins festgelegt hat, an dem sich die Sparkasse orientieren muss, ist jetzt schon klar, dass den Sparern Nachzahlungen zustehen.

Auch wenn die Kreditinstitute im Zeitalter der Niedrigzinsen unter Druck sind, hat der BGH es nicht durchgehen lassen, dass sie sich auf Kosten ihrer Sparer entlasten, indem sie selbstherrlich nach Gutdünken die Zinsen senken und ihnen Erträge vorenthalten, mit denen diese fest gerechnet haben. Nun bleibt nur noch zu wünschen, dass die Banken und Sparkassen Einsicht zeigen, indem sie von sich aus ihren Sparern das geben, was ihnen zusteht. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Kreditinstitute hatte sie bekanntlich bereits mit ihrer Allgemeinverfügung vom 21. Juni 2021 dazu verpflichtet, ihre Prämiensparkunden über unwirksame Zinsanpassungsklauseln zu informieren und ihnen entweder unwiderruflich eine Zinsnachberechnung zuzusichern oder einen Änderungsvertrag mit einer wirksamen Zinsanpassungsklausel anzubieten. Die 1.100 Kreditinstitute, die dagegen Widerspruch eingelegt haben, sollten angesichts dieses Urteils wissen, was sie zu tun haben!